Die Migration zu SAP S/4HANA wird oft als fast schon transformative Reise für Unternehmen angepriesen: Optimierte Abläufe, Echtzeit-Einblicke, Effizienz & mehr. Doch wenn man das Thema angeht, wirkt es zunächst oft weniger wie eine klare Schritt-für-Schritte-Anleitung und mehr wie ein Labyrinth aus komplexen Herausforderungen.
Während Standard-Implementierungsleitfäden eine grundlegende Roadmap bieten, übersehen sie oft die nuancierten Komplexitäten, die in realen, hochgradig angepassten Umgebungen auftreten. Dieser Artikel befasst sich mit praktischen Strategien zur Bewältigung dieser komplexen Szenarien und bietet umsetzbare Lösungen für Datenmigration, modul-spezifische Fehlerbehebung und Leistungsoptimierung.
Jenseits des Bauplans: Datenmigration in hochgradig angepassten Systemen
Die Datenmigration ist wohl die kritischste und oft unterschätzte Phase jeder S/4HANA-Implementierung, insbesondere wenn es um jahrzehntelange Altdaten und maßgeschneiderte Anpassungen geht. Die Standardwerkzeuge sind zwar leistungsstark, erfordern aber eine sorgfältige Planung und Ausführung, um Fallstricke zu vermeiden.
Das Dilemma des kundeneigenen Codes
Viele Unternehmen haben über Jahre hinweg in ihren ECC-Systemen umfangreichen kundeneigenen Code (Z-Tabellen, kundeneigene Berichte, Erweiterungen) entwickelt. Diesen Code einfach auf S/4HANA zu übertragen, ist aufgrund grundlegender architektonischer Änderungen, insbesondere mit der Vereinfachungsliste, selten eine Option. Ein pragmatischer Ansatz umfasst:
- Analysieren und Priorisieren: Verwenden Sie Tools wie den SAP S/4HANA Readiness Check und die Custom Code Migration Worklist, um kundeneigenen Code zu identifizieren. Kategorisieren Sie ihn nach Nutzung (aktiv, obsolet), Komplexität und Geschäftskritikalität. Nicht jeder kundeneigene Code muss migriert werden; einige können durch Standard-S/4HANA-Funktionalitäten ersetzt oder stillgelegt werden.
 
- Sanieren oder Neu konzipieren: Für wesentlichen kundeneigenen Code entscheiden Sie zwischen Sanierung (Anpassung des bestehenden Codes) oder Neukonzeption (Neuentwicklung mit Fiori, CDS-Views oder SAP BTP). Priorisieren Sie die Sanierung für einfachere Anpassungen und die Neukonzeption für Funktionalitäten, die von der neuen Architektur und den Cloud-Fähigkeiten von S/4HANA profitieren können. Tools wie das CCA-Toolset helfen dabei und können bis zu 40% Zeit einsparen.
 
- Iteratives Testen: Implementieren Sie einen rigorosen, iterativen Testzyklus. Beginnen Sie mit dem Unit-Test des sanierten/neu konzipierten Codes, gefolgt von Integrationstests mit Standard-S/4HANA-Prozessen und schließlich umfassenden User Acceptance Tests (UAT). Automatisieren Sie Tests, wo immer möglich, um Zyklen zu beschleunigen und die Genauigkeit zu verbessern.
 
Harmonisierung von Stammdaten
Die Migration von Stammdaten (Kunden, Lieferanten, Materialien) aus unterschiedlichen Altsystemen in das vereinfachte Datenmodell von S/4HANA (z. B. Geschäftspartner für Kunde/Lieferant) stellt einzigartige Herausforderungen dar. Probleme mit der Datenqualität, Inkonsistenzen und Duplikate können das gesamte Projekt zum Scheitern bringen. Berücksichtigen Sie diese Schritte:
- Datenbereinigung an der Quelle: Investieren Sie vor der Extraktion in eine gründliche Datenbereinigung in den Altsystemen. Dieser proaktive Schritt reduziert Migrationsfehler und Datenprobleme nach dem Go-Live erheblich.
 
- Staging-Bereich für die Transformation: Nutzen Sie einen dedizierten Staging-Bereich (z. B. SAP Data Services, kundeneigene Skripte), um Daten gemäß den Anforderungen von S/4HANA zu transformieren und zu harmonisieren. Dies ermöglicht eine iterative Zuordnung, Validierung und Fehlerkorrektur, ohne die Quellsysteme zu beeinträchtigen.
 
- Phasenweise Migration für große Volumina: Bei massiven Datenvolumina kann eine Big-Bang-Migration riskant sein. Erwägen Sie einen phasenweisen Ansatz, bei dem zuerst kritische Stammdaten, gefolgt von Transaktionsdaten, oder sogar eine modulweise Einführung, wenn die Geschäftsprozesse dies zulassen, migriert werden.
 
Fehlerbehebung bei spezifischen Modulen: Ein tiefer Einblick in häufige Probleme
Selbst bei sorgfältiger Planung sind modul-spezifische Probleme unvermeidlich. Hier beleuchten wir häufige Bereiche der Fehlerbehebung für zwei häufig vorkommende Module:
Finanzwesen (FI/CO) in S/4HANA
Das Universal Journal (ACDOCA) ist der Eckpfeiler von S/4HANA Finance, das das Datenmodell vereinfacht, aber auch neue Überlegungen mit sich bringt. Häufige Probleme und deren Lösungen umfassen:
- Inkonsistente Daten im Universal Journal: Diskrepanzen zwischen alten Sachkonten und neuen Universal Journal-Einträgen resultieren oft aus falschen Migrationszuordnungen oder kundeneigenen Berichten, die auf alte Tabellen zugreifen. Lösung: Überprüfen Sie die Zuordnungen im Migrationscockpit, stellen Sie sicher, dass kundeneigene Berichte an ACDOCA angepasst sind, und nutzen Sie Standard-S/4HANA-Berichte für die Finanzanalyse.
 
- Leistungsengpässe bei der Finanzberichterstattung: Große Datenvolumina in ACDOCA können manchmal die Berichtsgeschwindigkeit beeinträchtigen. Lösung: Optimieren Sie CDS-Views, nutzen Sie eingebettete Analysefunktionen und erwägen Sie die Nutzung von SAP Analytics Cloud für komplexe, hochvolumige Berichtsszenarien.
 
Logistik (SD/MM) in S/4HANA
Änderungen in der Bestandsführung, im Material Ledger und im Ausgabemanagement können zu komplexen Problemen führen.
- Probleme bei der Material Ledger-Aktivierung: Die Aktivierung des Material Ledgers (obligatorisch in S/4HANA für die Istkostenrechnung) kann komplex sein. Lösung: Stellen Sie sicher, dass alle Voraussetzungen erfüllt sind, führen Sie gründliche Tests in einer Sandbox durch und ziehen Sie erfahrene Berater hinzu. Achten Sie genau auf Währungs- und Bewertungseinstellungen.
 
- Konfiguration des Ausgabemanagements: Das neue Ausgabemanagement-Framework (BRFplus-basiert) unterscheidet sich erheblich von ECC. Lösung: Planen Sie ausreichend Zeit für die Konfiguration und das Testen von Formularen (z. B. Bestellungen, Rechnungen) ein. Nutzen Sie, wo immer möglich, Standardvorlagen und testen Sie kundeneigene Formulare gründlich.
 
Leistungsoptimierung für große S/4HANA-Implementierungen
Die Sicherstellung einer optimalen Leistung in einer großen S/4HANA-Umgebung erfordert kontinuierliche Überwachung und proaktive Abstimmung. Es ist keine einmalige Aktivität, sondern eine fortlaufende Verpflichtung.
Datenbank- und Anwendungsschicht-Optimierung
- HANA-Datenbankoptimierung: Überwachen Sie regelmäßig die Leistung der HANA-Datenbank mit Tools wie SAP HANA Studio oder SAP Solution Manager. Konzentrieren Sie sich auf Speichernutzung, CPU-Auslastung und teure Anweisungen. Implementieren Sie geeignete Partitionierungs- und Komprimierungsstrategien für große Tabellen.
 
- Anwendungsserver-Optimierung: Optimieren Sie ABAP-Anwendungsserver durch Anpassen von Parametern für Workprozesse, Speicher und Puffergrößen. Stellen Sie sicher, dass der Lastausgleich effektiv auf die Anwendungsserver verteilt ist.
 
Überlegungen zu Netzwerk und Infrastruktur
- Netzwerklatenz: Bei verteilten Landschaften oder Cloud-Bereitstellungen kann die Netzwerklatenz die Benutzererfahrung erheblich beeinträchtigen. Lösung: Optimieren Sie Netzwerkrouten, nutzen Sie Content Delivery Networks (CDNs) für Fiori-Apps und stellen Sie ausreichende Bandbreite sicher.
 
- Dimensionierung der Cloud-Infrastruktur: Wenn S/4HANA in der Cloud (z. B. AWS, Azure, GCP) bereitgestellt wird, stellen Sie sicher, dass die zugrunde liegende Infrastruktur für Spitzenlasten angemessen dimensioniert ist. Überprüfen und passen Sie die Ressourcenzuweisung regelmäßig basierend auf den tatsächlichen Nutzungsmustern an.
 
Fazit
Komplexe SAP S/4HANA-Implementierungen erfordern mehr als nur das Befolgen eines Standard-Playbooks. Sie erfordern ein tiefes Verständnis der Systemkomplexitäten, einen pragmatischen Ansatz bei der Migration von kundeneigenem Code und Daten sowie eine proaktive Haltung bei der Fehlerbehebung und Leistungsoptimierung. Indem Unternehmen sich auf diese praktischen Anleitungen konzentrieren und aus realen Szenarien lernen, können sie das S/4HANA-Labyrinth erfolgreich navigieren und das volle Potenzial ihrer digitalen Transformation ausschöpfen. Der Schlüssel liegt in sorgfältiger Planung, iterativem Testen und der Bereitschaft, Strategien an die einzigartigen Herausforderungen jeder Implementierung anzupassen.